Samstag, November 11, 2006

Die "Elite"-Universität

Vor einem halben Jahr wurde ich in einem Akt des Lokalpatriotismus Mitglied der Münchner Universitätsgesellschaft. Man muss sich natürlich fragen, warum man einem Club beitreten sollte, dessen einziger Zweck das Zahlen von Geld an eine Institution ist, die vor allem durch ihre beamtenmäßige Trägheit und Regelungswut (Beispiel: Universitätsmitarbeiter müssen nun exakt 40 Stunden und 6 Minuten pro Woche arbeiten), mit Entscheidungsprozessen, die mehrere Jahre dauern, durch ihren modrigen Gremienklüngel, einem mittelalterlichen Budgetsystem und einer Servicementalität auszeichnet, die sich zwischen "geht nicht", "was wollen SIE denn?" und "das haben wir noch nie so gemacht" bewegt, auszeichnet.
Nun, es war vielleicht die leise Hoffnung auf die Aufnahme in einem exklusiven Club, auf die rauchgeschwängerte Luft des ledergepolsterten Herrenzimmers, in dem die wirklich wichtigen Entscheidungen getroffen werden, und auf Versammlungen, auf denen die erfolgreichen Industriellen auf das Who-is-Who der Academia treffen. Es war auch der Gedanke, dass man eine gewisse Verbundenheit zeigt mit der "Alma Mater", der nährenden Mutter.
Übrig geblieben ist die Lektüre des Jahresberichtes sowie des vom Pressereferat der LMU verfassten Marketing-Bandes über die wissenschaftlichen Glanzleistungen des letzten Jahres, und die Programme zum Seniorenstudium und der Ringvorlesung. Wenn ich an die graumelierten Haarkränze bei den Ringvorlesungen denke, ist mir nun klar, woher die Herrschaften vom Termin erfahren hatten. Was vom Budget der Gesellschaft nicht für den Versand dieser Hochglanzprospekte verschlungen wird, geht vor allem in die Vergabe an Projekte (wie etwa des "Campus LMU", von dem ich früher bezahlt wurde) und die Feier des "Stiftungsfestes", letztlich eines Festaktes im Sommer, an dem ein Professor über die Bedeutung von Universitätsgesellschaften im Allgemeinen und die Münchner Ausprägung im Speziellen zu referieren scheint (das kann ich nur vermuten, da ich dieses Jahr nach langem Abwägen, unter Einbeziehung der Außentemperatur von etwa 35 Grad, und nicht ohne Gewissensbisse, doch die gemeinschaftliche Rezeption des Deutschland-Länderspiels vorgezogen hatte).
Nun gut, die Jahresversammlung hatte ich auch verpasst (verdammt!), die Hoffnung auf die Aufnahme in die höhere Gesellschaft für dieses Jahr und aus eigenem Verschulden verwehrt, und so bleibt mir als Nutzen nur die Lektüre der Briefe, die ich hin und wieder vom (übrigens seit Jahrzehnten von der Münchner Rück-Gesellschaft gestellten) Vorsitzenden erhalte. Und da heißt es, zusammen mit dem Hinweis, man könnte sich ja für eine außerordentliche Spende entschließen, die LMU wäre nun eine der besten drei Universitäten in Deutschland und fürderhin Elite-Universität. Der Ausdruck "Elite" stand nicht da, stattdessen war von "Exzellenz" die Rede, was aber ein noch blöderes Wort ist, weil es in der benutzten Bedeutung direkt aus dem Englischen übertragen wurde, um das von den Nazis verbrähmte Wort "Elite" zu vermeiden. Excellence heißt, laut Wörterbuch, so was wie Güte, Vortrefflichkeit oder Vorzüglichkeit. Exzellenz im Deutschen kommt aber direkt aus der Lateinischen Übersetzung von "Herrlichkeit" und wurde eigentlich als Anrede für gewisse Adelskreise angewendet, deutsche Kaiser etwa, hohe Militärs oder katholische Bischöfe. Auch Universitätspräsidenten werden so tituliert (was ich auf einer befrackten Offiziellen-Versammlung auch noch persönlich vernommen habe, und das im Jahre 1999, mehr als zwei Jahrhunderte nach der französischen Revolution). Man könnte nun also vermuten, die "Exzellenz-Initiative" soll im Wesentlichen die Karriere der Universitätspräsidenten nützen, vielleicht sogar wieder das Kaisertum fördern, was mir aber als eine wesentlich unwahrscheinlichere Variante erscheint. Nein, dem ist nicht so, wie gesagt, die Exzellenz sollte eigentlich Elite heißen, wofür auch schon seine Herkunft von lateinisch eligere, wählen, auswählen, spricht, und um eine Auswahl handelt es sich schließlich. Und da universitätsnahe Personen vermutlich intelligenter sind als die Beamten des Bundesforschungsministeriums, die sich nicht zu schade waren, auch noch den "Exzellenzcluster" zu fordern (ist das die Wolke, auf der die verblichenen Adeligen sitzen?), ist in den Gängen und Hörsälen nun davon die Rede, dass man ja jetzt an einer "Elite-Universität" arbeite oder studiere. So geschehen am Donnerstag, als ein Mitarbeiter der koreanischen Verteidigungsuniversität einen Vortrag über Nordkoreas Atomwaffen hielt, nicht ohne sich zuvor für die Ehre zu bedanken, an einer "Elite-Universität" vortragen zu dürfen (Der Grund war wohl eher, dass er mal an der LMU promoviert hatte - und das, bevor diese zur Elite-Universität wurde. Aus meiner elitären Haltung heraus möchte ich daher sagen, dass der Vortrag einschläfernd und der Elite-Universität LMU eigentlich nicht würdig war. Wir sollten nur noch Redner von anderen Elite-Universitäten zulassen). Bei der Nennung des Wortes schwang allerdings eine Spur des Spottes durch, was so gar nicht in das ansonsten todernste Thema passen wollte, eine Winzigkeit natürlich, die im Publikum damit allerdings einen Anflug von Belustigung erzeugte.
Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen ist das Programm von der Konzeption her ein politischer Wattebausch. Es geht um 25 Millionen Euro jährliches Fördervolumen. Zum Vergleich: Die Universität Princeton hat in ihrem "Centennial Program" von ihren Alumni zur 250-Jahrfeier 1999 den sagenhaften Betrag von 1 Milliarde US-Dollar eingesammelt. Einige Universitäten schütten die Zinsgewinne von 10-20 Milliarden Dollar Stiftungskapital aus, bezahlen damit 25-30% der Studiengebühren und ermöglichen privat organisierte Grundlagenforschung. Die Universitätsgesellschaft München verwaltet dagegen 3,4 Millionen Euro. Um im Bild des Fußballs zu bleiben, ist das, wie wenn sich der TSV Traubing anschickt, den FC Bayern zu schlagen, und dafür von der Gemeinde 1000 Euro Zuschuss in Form eines "Bundesliga-Programms" bekommt. Oder, ein anderes Bild, wie wenn man das Vermögen eines Millionärs mit meinem vergleicht. Die 25 Millionen Euro jedenfalls werden nicht an die bestehenden Fakultäten verteilt, sondern fließen in vier neue Programme, der "Graduate School of Systemic Neurosciences", einer vielversprechend klingenden interdisziplinären Einrichtung zur Gehirnforschung, sowie drei Forschungsclustern: Proteinforschung, Photonenforschung und Nanotechnologie-Forschung.
Zum anderen hat es in den letzten Wochen mit Kollegen und Studierenden immer wieder ein Gespräch der Art gegeben, "wenn diese Uni schon Elite-Universität ist, wie schlecht müssen dann die anderen sein?" Die allgemeine Perzeption ist nämlich, dass die Bedingungen nicht gerade optimal sind - und das, obwohl an unserem Institut vergleichsweise paradiesische Zustände herrschen, kleine Kurse, Computer verfügbar, Bibliothek offen bis halb zehn am Abend. Warum ist dies so? Man könnte hier 10 Gründe nennen, ich will aber nur einen offensichtlichen herausgreifen: Weil Studium und Lehre eben nicht elitär sind, also nicht auswählend, filternd, die "Exzellenz" fördernd. Es geht eher zu wie in einer Gesamtschule, wo Grethi neben Plethi sitzt und die Geschwindigkeit bestimmen, wo in manchen Kursen sicher zu wenig verlangt wird, und wo dadurch die wirklich förderungswürdigen Leute letztlich nicht die Förderung bekommen, die sie verdienen. Eine Elite-Universität ist nicht deshalb elitär, weil ihr dieses Label verliehen wird, sondern, weil mehr Menschen eine Arbeit oder ein Studium nachfragen, als dies angeboten werden kann, und deshalb eine Auswahl erfolgt, in der dann hoffentlich die besten miteinander miteifern. Ob unsereins in diesem Club dann noch vertreten sein wird, ist eine andere Frage.
Nichtsdestotrotz ist durch die Exzellenzinitiative eine Wirkung eingetreten, die so vermutlich vorher nicht geplant war: Es tut sich was an den Universitäten. Sie hat dafür gesorgt, dass Profile gestärkt und Veränderungen eingeleitet wurden, und dass die Oberen der Universität auch intern Veränderungsprozesse leichter durchsetzen können. Die weitaus interessanteste Förderlinie ist die der Zukunftskonzepte. Hier sieht das Rektorat eine ganze Anzahl von Maßnahmen vor, unter anderem "proaktives" Recruiting durch Headhunter, ein Center for Advanced Studies, ein besseres Finanzierungskonzept, veränderte Managementstrukturen, sowie, sehr wichtig, wie ich meine, durchgängige Qualitätssicherung durch interne und externe Evaluation.
Die eigentliche Katze, die dem sprichwörtlichen Sack entfleucht, bildet jedoch der letzte Satz. Rektor Huber schreibt: "Langfristig stelle ich mir den Umbau zu einer Stiftungsuniversität vor, die weitgehend unabhängig von den Schwankungen staatlicher Grundfinanzierung ist". Läuft dies auf eine Privatisierung der Universität hinaus? Auf jeden Fall dürfte der Münchner Universitätsgesellschaft eine glorreiche Zukunft beschieden sein...