Dienstag, Oktober 17, 2006

Das Verschwinden der Armut

Richard Tomkins schreibt in einem intelligenten Artikel in der Wochenendbeilage der Financial Times: Die Renditen der Globalisierung kommen zwei Gruppen zugute: Den Reichen und Superreichen und den Armen und Superarmen. Der große Verlierer ist die Mittelschicht. Warum?
Die Reichen gewinnen, weil die Einkünfte aus dem Kapital steigen: In allen westlichen Industrieländern fahren Unternehmen Rekordgewinne ein, die Aktienkurse steigen etc. Nach aktuellen Zahlen (wir hatten diese Diskussion schon weiter unten) verbleiben bei den 20% der reichsten Amerikaner 50,4% des Einkommens.
Normalerweise müssten die Unternehmen jetzt einstellen. Warum verbleiben Arbeitnehmergehälter wie in einer Rezession? Wie kann es sein, dass Sozialsysteme abgebaut werden?
Früher wurde Kapital in westlichen Industrienationen an westliche Arbeit gebunden. Kapital war immobil. Heute fließt es an die Orte mit den billigsten Löhnen. Das nützt den Eignern ebenso wie den Armen, die nun an bessere Jobs kommen. Den Arbeitnehmern nicht.
Eine sehr einfache Erklärung: Allein durch die Marktöffnung von China und Indien sind fast 1,5 Milliarden Arbeitnehmer auf den Markt gekommen, während diese Märkte kaum Kapital eingebracht hätten. Das Angebot an Arbeit hat also zugenommen, während das an Kapital gleichgeblieben ist. So muss durch Angebot und Nachfrage der Zins, der Preis des Kapitals, steigen, während die Löhne stagnieren.
Dazu kommt, dass die neuen Wirtschaftssysteme jede Menge Akademiker auf den Markt bringen. Länder wie China verdoppeln derzeit ihren Output an Akademikern. Gleichzeitig wird durch Telekommunikation das Offshoring erleichtert. Oder, viel wichtiger, wie Tomkins argumentiert: Die Androhung von Offshoring. Die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer wird geschwächt, weil eine glaubwürdige Drohkulisse aufgebaut werden kann, Teile des Unternehmens zu verlagern.
Ein weiterer Punkt: Zwar sind die Preise für Konsumgüter wie Computer oder Hifi-Geräte gesunken, gleichzeitig steigen jedoch Energiepreise durch die höhere Nachfrage nach Rohstoffen. Da läuft also eine Umverteilung von Industrieländern in energieerzeugende Länder.
Das Ganze wird ein Ende haben - wenn die Löhne etwa in China weiterhin steigen, werden sie in 40 bis 50 Jahren das Niveau der westlichen Länder erreicht haben, und ab dann sollten auch diese wieder ansteigen.
Fazit: Globalisierung erzeugt derzeit eine riesige Umverteilung von Reichen zu Armen, von Arbeit hin zum Kapital, von Arbeitnehmern zu Konsumenten und von Energiekonsumenten zu Energieproduzenten.
Nach einer etwas weniger fruchtvollen Diskussion über den Bedarf an globalen Sozialstandards zeichnet Tomkins folgendes Szenario: Hätten Politiker folgendes Angebot gemacht - wären wir darauf eingegangen?
"Together we are going to end world poverty. In order to achieve this, we are going to ask you to accept a pay freeze for as long as it takes for the wages of workers in the developing countries to catch up, which we estimate will be about half a century. Until the adjustment is complete, the reduction in labour costs will produce the side effect of extraordinarily high profits for companies, enriching many who are already among the richest. So there will be winners an dlosers. The bad news is hat you the ordinary, middle-class employees of the west, will be losers and everybody else will be winners. But the good news is, your sacrifice will make poverty history."